Recherchen von ARD und "Die Zeit"
21.05.2021, 07:26 Uhr
Amazon soll trotz Neuregelung weiter Neuwaren vernichten
Amazon soll weiter neuwertige Ware vernichten lassen. Greenpeace habe im Logistikzentrum in Winsen "Destroy-Stationen" entdeckt, an denen regelmäßig Kleidung, Spielzeug, T-Shirts, Bücher und Elektro-Artikel entsorgt werden.
Das ARD-Magazin "Panorama" (NDR) und die Wochenzeitung "Die Zeit" erheben Vorwürfe gegen Amazon: Sie berufen sich dabei auf Bildaufnahmen von Greenpeace; diese hatten einen Rechercheur in das Amazon-Logistikzentrum im niedersächsischen Winsen (Luhe) eingeschleust. Er hatte dort im Auftrag der Umweltorganisation mehrere Wochen gearbeitet und Vorfälle dokumentiert, wonach Amazon weiter regelmäßig neuwertige Ware, darunter Kleidung, Spielzeug, T-Shirts, Bücher und Elektro-Artikel vernichten lassen soll.
Im Vorfeld hatte Greenpeace Hinweise bekommen, Amazon plane eine Umgehung gesetzlicher Bestimmungen. "Panorama" und "Zeit" hätten die Greenpeace-Recherchen anhand eigener Quellen überprüft.
"Destroy-Stationen"
So soll es im Winsener Zentrum eine offenbar fest in den Produktionsablauf integrierte Abteilung mit acht Arbeitsplätzen geben, an denen regelmäßig Neuware entsorgt wird. Dort sollen Amazon-Beschäftigte originalverpackte Ware aus der Verpackung holen und die noch gebrauchsfähigen Produkte nach den Kriterien der Mülltrennung in die jeweiligen Müll-Paletten sortieren.
Die Arbeitsbereiche seien als "Destroy-Stationen" gekennzeichnet. Allein aus dem Lager in Winsen soll mehrmals im Monat Neuware abgeholt und zu einem Entsorgungsunternehmen gebracht werden, das die Ware verbrennt oder zu Putzlappen verarbeitet.
Nach Informationen von "Panorama" und "Zeit" sollen in Winsen vor allem nicht verkaufte Ware von Dritthändlern entsorgt werden, die ihre Ware über Amazon verkaufen. Amazon biete ihnen unter anderem die Entsorgung an, wenn etwa ihre bei Amazon gelagerten Waren über einen bestimmten Zeitraum hinweg nicht verkauft wurden.
Das bestätigt Christian Pietsch, dessen Unternehmen Gusti Leder über Amazon Lederwaren anbietet, gegenüber "Panorama" und "Zeit". Man müsse die Artikel bei Amazon binnen einer gewissen Zeit verkaufen, weil sonst hohe Langzeitlagergebühren anfielen. Eine öffentlich zugängliche Preisliste von Amazon für Dritthändler, "gültig ab April 2021", belege das. Darin heißt es: "Die Langzeitlagergebühr wird nicht berechnet, wenn vor der Erhebung der Gebühr eine Entfernung oder Entsorgung der Einheiten angefordert wurde." Der Preisliste ist auch zu entnehmen: Amazon erhebt für die Entsorgung eine Gebühr.
Das sagt Amazon
Amazon bestreitet die Vernichtung von Neuwaren nicht. "Wir arbeiten daran, möglichst gar keine Produkte zu deponieren. Unser Ansatz ist der Aufbau eines umfassenden Kreislaufwirtschaftsprogramms mit dem Ziel, Retouren zu reduzieren, Produkte wiederzuverwenden und weiterzuverkaufen und so wenig wie möglich davon zu entsorgen. Nur wenn wir keine andere Möglichkeit mehr haben, geben wir Artikel zum Recycling oder zur Energierückgewinnung - oder als allerletzte Option - zur Deponierung. Dieser Weg ist für uns die letzte und am wenigsten attraktive Option - ökologisch und ökonomisch. Tatsächlich liegt die Zahl der von Amazon verkauften und versandten Produkte, die entsorgt werden müssen, im Promillebereich - und wir geben alles, diese Zahl weiter zu reduzieren", so ein Sprecher.
Und weiter: "Amazon hält seine Obhutspflichten hinsichtlich der vertriebenen Waren ein. Wir haben Maßnahmen implementiert, um die Warenvernichtung so weit wie möglich zu vermeiden."
Nicht zum ersten Mal in der Kritik
Amazon steht wegen der Entsorgung von Neu- oder Retourware nicht zum ersten Mal in der Kritik. Im im Februar 2020 kündigte Bundesumweltministerin Svenja Schulze an, die Unternehmen stärker in die Verantwortung zu nehmen: Man wisse, dass neuwertige Ware vernichtet wird.
Die Unternehmen hätten dafür zu sorgen, dass die "Gebrauchstauglichkeit" ihrer Waren erhalten bleibe. Eine sogenannte Obhutspflicht sollte Abhilfe schaffen, damit neuwertige Produkte nicht einfach im Abfall landen. Das Gesetz gilt seit 2020, aber es wird bislang mangels notwendiger Verordnungen nicht umgesetzt. An denen werde bereits gearbeitet, so Schulze vor mehr als 15 Monaten.