Ausbildung im Online-Handel 16.04.2018, 14:00 Uhr

Das neue Berufsbild des E-Commerce-Kaufmanns

Anfang August startet die neue E-Commerce-Ausbildung. Während noch Unklarheiten bei der Umsetzung bestehen, fordern Verbände bereits weitere Bildungsmöglichkeiten.
(Quelle: BEVH)
Das lange Klagen der E-Commerce-Branche über Fachkräftemangel und ungenügende Qualifikationen hat zu einem ersten Ergebnis geführt: Am 1. August existiert offiziell das neue Berufsbild "Kaufleute im E-Commerce". Es steht allen interessierten Unternehmen fortan als Ausbildungsberuf zur Verfügung. Bei dem neuen Beruf handelt es sich nicht nur um die erste Ausbildung für die digitale Wirtschaft, sondern sogar um den ersten neuen in Deutschland eingeführten kaufmännischen Beruf seit mehr als zehn Jahren. Verbände und Sozialpartner des Handels und der Dienstleistungsindustrie hatten für die Einführung der E-Commerce-Ausbildung zusammengearbeitet und zeigen sich nun mit dem Ergebnis zufrieden.

Ausbildungsplatzangebot entwickelt sich positiv

Allen voran lobt der Versandhandelsverband BEVH den nun entstandenen Beruf: "Wir sind sehr zufrieden, denn wir haben tatsächlich einen eigenständigen Beruf, der nicht aus dem Vorverständnis einer Einzelhandels- oder Großhandelsstruktur entwickelt wurde", erklärt Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BEVH. Mit dem E-Commerce-Kaufmann könne man beliebige ­digitale Geschäftsmodelle abbilden und müsse dafür nicht einmal einen eigenen klassischen Online Shop betreiben. "Insofern ist das wirklich identitätsstiftend für unsere Branche", so Groß-Albenhausen.
Weniger überschwänglich betrachtet das neue Berufsbild Dominik Haupt, Geschäftsführer der Münchner E-Commerce-Agentur Norisk. Der Unternehmer hatte sich im Vorfeld für den neuen Ausbildungsberuf starkgemacht und wird ab ­Anfang September selbst E-Commerce-Kaufleute ausbilden. Mit dem zur Verfügung stehenden Ausbildungsplan ist er aber nur "bedingt zufrieden": "Das ­Profil ist sehr stark auf die Handelsseite ausgerichtet. Für uns als Agentur stehen Themen wie Technologie oder Projekt­management zu wenig im Mittelpunkt." Diese Sichtweise bestätigt indirekt auch Florian Kaiser von der IHK München. Der neue Beruf werde überwiegend im Handel ausgebildet, erklärt der Referatsleiter ­Berufliche Bildung. "Aber die Ausbildung ist breit genug angelegt, damit auch Unternehmen aus Hotellerie oder dem Tourismus die Möglichkeit haben, mit diesem modernen und branchenübergreifenden Beruf zum Zuge zu kommen", so Kaiser.

Resonanz der Wirtschaft

Die Resonanz der Wirtschaft auf den neuen Ausbildungsberuf stuft der IHK-Mitarbeiter als positiv ein. "Das Interesse bei E-Commerce-Unternehmen ist groß. Unsere Informationsveranstaltungen für den neuen Beruf waren sehr gut besucht, mit insgesamt rund 130 Unternehmen." Ein ähnliches Bild zeichnet auch Martin Groß-Albenhausen vom BEVH: "Auf unserer Plattform Ecommerce-ausbilden.de haben inzwischen namentlich benannte Unternehmen mehr als 500 Ausbildungsplätze ausgeschrieben. Und das sind nur die, die wir aus dem engeren ­E-Commerce erreichen können, noch nicht der weitere Kreis aus dem Einzel- und Großhandel oder Tourismus."
Eine stichprobenartige Umfrage habe zudem ergeben, dass rund 90 Prozent der BEVH-Mitglieder den neuen Beruf ausbilden wollten. Agentur-Chef Dominik Haupt sieht das etwas differenzierter: "Die meisten Agenturen sehen die E-Commerce-Ausbildung eher als Kundenthema. Aber unter unseren Kunden denkt jeder Dritte darüber nach, sich an der Ausbildung zu beteiligen oder hat ­bereits Ausbildungsstellen ausgeschrieben." Vielenorts sei noch gar nicht angekommen, dass es die neue Ausbildung überhaupt gebe, ergänzt Oliver Prothmann, Präsident des Bundesverbands Online-Handel (BVOH). "Wer liest schon alles, was an Informationen von der IHK kommt? Es braucht jetzt das Engagement der Verbände, damit auch alle Händler mitkriegen: Du kannst jetzt ausbilden!"

Noch Mankos bei der Umsetzung der Ausbildung

Dass es das Berufsbild "Kaufleute im ­E-Commerce" nun auf dem Papier gibt, ist die eine Sache. Eine andere Sache ist aber die praktische Umsetzung in den Unternehmen und die Kooperation mit den ­lokalen IHKs und Berufsschulen. Der BEVH ist diesbezüglich optimistisch. Es seien zwar noch immer nicht alle Berufsschulstandorte zugewiesen, aber der erste bundesweite Implementierungs-Workshop habe bereits stattgefunden. "Im ersten Jahr scheinen Berufsschulen bevorzugt an zentralen Orten angesiedelt zu werden, sodass gegebenenfalls mit Blockunterricht gearbeitet werden wird", berichtet BEVH-Vizechef Groß-Albenhausen.
Die Ausgestaltung des Lehrplans habe an vielen Berufsschulen bereits begonnen. "Ich kenne Schulen, die bereits Shop-­Systeme inklusive ERP, PIM und CRM vorbereiten, an denen die Schüler arbeiten werden. Andere planen Übungsfirmen, damit praxisnah gelernt werden kann." Norisk-Agentur-Chef Haupt berichtet von anderen Erfahrungen. Die zuständige ­Berufsschule sei für den E-Commerce-Kaufmann "nicht gerade ultra-gerüstet", doch wisse man aus der eigenen Erfahrung mit der Ausbildung von Fachinformatikern, dass ein motiviertes Ausbildungsunternehmen viel auffangen könne. Auch BVOH-Chef Prothmann erhält ­immer wieder Berichte über Probleme mit den Berufsschulen: "Oft gibt es keine Lehrkräfte, die ein E-Commerce-Verständnis haben, oder es stehen zu wenig Lehrmittel und kaum Software-Unterstützung zur Verfügung." Es werde wohl die kompletten drei Jahre brauchen, die der Ausbildungsgang dauere, um herauszufinden, was im Rahmen der Ausbildung alles möglich sei und wie die Aus­bildungsträger dazu am besten mit den Verbänden und der Wirtschaft zusammenarbeiten könnten.

Eine frustrierende Erfahrung

Über eine besonders frustrierende Erfahrung berichtet Alexander Wachter, Prokurist beim Augsburger Druckmaschinenhersteller Manroland. Das Unternehmen betreibt seit 2007 einen B2B Online Shop für Ersatzteile und Verschleißmaterial und erwirtschaftet damit inzwischen E-Commerce-Jahresumsätze im zweistelligen Millionenbereich. Als mittelständisches Unternehmen hat bei Manroland Ausbildung Tradition, doch für E-Commerce-Kompetenzen stand bisher nur die Möglichkeit der betriebsinternen Weiterbildung zur Verfügung. "Ich habe von der E-Commerce-Ausbildung erfahren und wusste gleich, das ist für unser Unternehmen ­eine tolle Idee", erzählt Wachter. Doch sei man bei der praktischen Umsetzung auf große ­Hindernisse gestoßen. So seien die zur Verfügung stehenden Rahmenlehr­pläne unvollständig gewesen. Bei der örtlichen IHK habe man ­dazu nichts gewusst und lapidar erklärt, man glaube nicht, dass die E-Commerce-Ausbildung schon in diesem Jahr umgesetzt werde.
Doch Wachter ließ nicht locker und versuchte, mit der zuständigen Berufsschule eine Lösung zu finden. "Schließlich kam von unserer Personalabteilung die Rückmeldung, dass es inzwischen zu spät für das Azubi-Recruiting sei. Nun werden wir wohl erst 2019 mit der Ausbildung von E-Commerce-Kaufleuten beginnen - wenn dann die Randbedingungen stimmen."
Manroland sieht sich bei E-Commerce-Ausbildung in zweifacher Hinsicht im Hintertreffen: Der Augsburger Druckmaschinenhersteller sei nun einmal in keinem der großen Ballungsräume angesiedelt und verfüge als Industrieunternehmen auch nicht über die Ressourcen eines reinen E-Commerce-Unternehmens, das die noch bestehenden Mankos bei der Ausbildung eher auffangen könne.

Bewerber mit hohem Qualifikationsniveau

Durchweg erfreulich ist die große Resonanz, die der neue Ausbildungsberuf auf der Bewerberseite erhält. "Wir gehen ­davon aus, dass der neue Beruf bei den Schulabgängern den richtigen Nerv trifft", berichtet Referatsleiter Kaiser von der Münchner IHK über die ersten Erfahrungen. Agentur-Chef Haupt kann das nur unterstreichen: "Wir werden am 1. September zwei E-Commerce-Kaufleute ausbilden und hatten dazu 60 Bewerbungen in nur einer Woche." Dabei sei das hohe Qualifikationsniveau der Bewerber aufgefallen. "Rund ein Viertel sind Studien­abbrecher unter anderem in Fachinformatik, Mathematik oder BWL. Der Rest hat mindestens Mittlere Reife, oft auch Abitur." Haupt vermutet, dass der Mangel an E-Commerce-Inhalten bei betriebswirtschaftlichen Studien der Grund für den hohen Ausbildungsgrad der Bewerber ist. "Für E-Commerce-Allrounder gibt es sonst nur wenige Ausbildungsformate."
Nur ein erster Schritt könne die E-Commerce-Ausbildung sein, das erklärt auch BVOH-Chef Prothmann. "Der Ausbildungsberuf ist mitnichten dazu in der ­Lage, die Fachkräfteproblematik mit einem Schlag zu lösen. Auch im Studienbereich muss sich künftig viel mehr bewegen." Das sieht auch der BEVH ähnlich. "Es ist doch klar, dass mit anfangs 1.000 Ausbildungsverhältnissen der Fachkräftebedarf nicht zu decken ist. Das ist ja gerade mal ein Dreißigstel der Ausbildungsverhältnisse allein im Einzelhandel", erklärt Verbandschef Groß-Albenhausen. Der BEVH gehe aber davon aus, dass diese Zahl rasch ­anwachsen werde. Die Offenheit für ­unterschiedlichste Branchen sei deshalb der entscheidende Hebel, um digitale Fachkräfte skalierend auszubilden. E-Commerce-Kaufleute seien schließlich digitale Fachkräfte, die nach der Prüfung selbstständig eine Vielzahl von Tätigkeiten im E-Commerce übernehmen könnten.

Verbände fordern weitere Bildungsangebote

Nachbesserungsbedarf sieht der BEVH im  Hochschulbereich. Der Verband hat fast zweieinhalbtausend Wirtschaftsstudiengänge an deutschen Fachhochschulen und Universitäten unter die Lupe genommen und dabei festgestellt, dass nur in knapp hundert Fällen E-Commerce-Inhalte eine Rolle spielen. Immerhin stelle man fest, dass die Hochschulen zunehmend mehr bereit seien, Inhalte zu Digital Commerce in bestehende Studiengänge aufzunehmen, erklärt Groß-Albenhausen. "Aber auch das wird nur mittelfristig wirken. Deshalb bringen wir uns als BEVH auch in einen 'E-Commerce-Fachwirt' ein, der gerade die ersten Konzeptionsschritte nimmt. Das ist dann eine betriebliche Fortbildung, die dem Kaufmann noch weiteres Führungswissen im digitalen Umfeld vermittelt." So lobenswert die neue E-Commerce-Ausbildung ist - sie kann für die Branche nur ein erster Anfang sein.


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