Moonova-Recap
03.03.2022, 10:00 Uhr

Digitaler Handel: Kampf um den Kundenzugang

Fünf Tage lang diskutierten Experten auf der Moonova die Zukunft des digitalen Handels und des digitalen Marketings. Eine der wichtigsten Fragen: Wer kontrolliert künftig den Kundenzugang. Wir haben einige der griffigsten Signature Statements zusammengefasst.
(Quelle: Ebner Media Group)
Stephan Tromp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland, machte schon am ersten Tag der Moonova unmissverständlich klar: "Die Frequenzen im stationären Handel werden nach dem Ende der Corona-Pandemie das Vorkrisenniveau nicht wieder erreichen." Der Konsum hat sich weiter vom stationären Nonfood-Handel zum Online-Handel verlagert. Auf bereits hohem Niveau wuchsen die E-Commerce-Umsätze von 2020 auf 2021 um weitere 19,2 Prozent, während weite Teile des stationären Nonfood-Handels deutliche Umsatzeinbußen erfuhren. Handel und Hersteller müssten sich darauf einstellen, dass die Aufgabenverteilung von Online- und stationären Kanälen künftig lautet: Versorgungskäufe wandern konsequent ab ins Internet. In stationären Geschäften sind Emotionalität und Haptik gefragt.

"Der klassische Handel verliert online den Zugang zum Kunden." (Tarek Müller, About You)

Doch die Hoffnung, dass für den Handel zumindest online die Trauben tief hängen, kassierte spätestens am zweiten Moonova-Tag About-You-Gründer Tarek Müller ein. Er machte deutlich, dass der klassische Handel auch online den Zugang zum Kunden verliert.
Gewinner sind aus seiner Sicht einerseits die großen Plattformbetreiber, die sich dank hoher Customer Lifetime Value (CLV)-Werte auch hohe Customer Acquisition Costs (CAC) leisten können und die Sichtbarkeit bei den Kunden schlichtweg einkaufen. Aber auch die Hersteller gewinnen Kundenzugang - wahlweise über die großen Plattformen, aber auch über ihre eigenen Kanäle. "Win with the winner", zitierte Müller die Erfolgsmaxime von Brands wie Adidas oder Nike.

"Plattformen drängen die Hersteller ins D2C-Geschäft" (Stefan Wenzel, freier Berater)

Ins selbe Horn stieß Berater Stefan Wenzel, der einst bei Ebay Marktplatzluft schnupperte, aber auch für Hersteller wie Tom Tailor aktiv war. Er konstatiert in der Handelslandschaft tektonische Verschiebungen in mehreren Dimensionen und sieht Plattformen zu einer Art Handelsinfrastruktur wachsen. "Was früher der stationäre Handel war, wird infrastrukturell abgelöst durch Plattformen", sagt er. Und auf diesen Plattformen würden vor allem Hersteller und Marken und weniger der Handel stattfinden, weil für Retailer das Margenthema nicht stimme und man gleichzeitig auch sein wichtigstes Asset, nämlich den Kundenzugang, verliere.
Bedrohlich für die Händler ist zudem, dass die Marktplätze die Hersteller sozusagen ins D2C-Geschäft zwingen, weil sie ihr eigenes Handelsgeschäft immer mehr reduzieren und in Zukunft eher auf Marktplatzmodelle wetten. Somit sind die Hersteller genötigt, sich eigene D2C-Strategien zu überlegen - was dem Handel einmal mehr einen Teil seiner Daseinsberechtigung entzieht.
Um mit einem eigenen Online-Shop erfolgreich zu sein, brauchen Hersteller aber echte Alleinstellungsmerkmale, weiß Tarek Müller von About You. "Ihr müsst euch fragen, warum ein Kunde auf marke.com bestellen soll und nicht auf Zalando oder Amazon", so der E-Commerce-Profi. Dass man in Sachen Payment, Liefergeschwindigkeit oder Qualität mit den Big Playern Schritt halten kann, seien reine Hygienefaktoren. Wer nicht mindestens drei bis fünf USPs in Bereichen wie Branding, Sortiment, Distribution, Kundenbindung oder Content vorweisen könne, wird auf Dauer nur schwerlich eine Daseinsberechtigung finden.

"Was macht der Fachhandel denn für eine Marke, außer dass er 30 Prozent Marge abzieht" (Wolfgang Kirsch, Ex-Chef MediaSaturn)

Selbst Speaker mit Handelshistorie im Blut zweifelten auf der Moonova am Überleben ihrer alten Zunft. Wolfgang Kirsch, ehemals Chef des Elektronikriesen MediaSaturn, gestand, dass er jungen Brands inzwischen empfiehlt, den Handel weiträumig zu meiden. "Was macht der Fachhandel denn für eine Marke, außer dass er 30 Prozent Marge abzieht, Produkte ins Regal stellt und darauf wartet, dass der Kunde sie kauft", fragt er und rechnet vor: "Wenn Miele eine 1.000 Euro teure Waschmaschine in Eigenregie verkauft, kann er einen Mitarbeiter mit dem Auto und der Ware von Bielefeld zum Kunden nach Ingolstadt schicken und verdient immer noch Geld. Da ist so viel machbar."
Um sein eigenes Überleben doch noch zu sichern, riet Kirsch dem Handel zu mutigeren Investitionen, die sich auch nicht sofort rechnen müssen. "Ich wurde früher mit dem Statement zitiert: 'Im Gegensatz zu Amazon verdienen wir Geld'", sagte er selbstkritisch. "Das ist aber ganz großer Schwachsinn." Große Handelsgruppen sollten lieber ein Drittel oder ein Viertel ihres Gewinns in den Aufbau von Systemen investieren und so beispielsweise einen eigenen Quick-Lieferdienst auf die Beine zu stellen, statt jemanden neben sich groß werden zu lassen. Denn selbst wenn Start-ups wie Gorillas oder Flink scheitern, hätten sie ein Kundenbedürfnis identifiziert, das es zu erfüllen gilt.

"Das direkte Geschäftsmodell ist das neue normal" (Matthias Schrader, Accenture)

Auch Accenture-Deutschland-Chef Matthias Schrader brach auf der Moonova die Lanze für den Direktvertrieb der Brands. "Das direkte Geschäftsmodell ist das neue normal", sagte er. "Zusätzlich in stationären Kanälen präsent zu sein, hat den Tipping Point überschritten und ist der kleinere Anteil geworden."
Seine These untermauerte Schrader mit Zahlen. Demnach hatten im physikalischen Retail kleine Marken nur einen Anteil von 20 Prozent. Im E-Commerce machen sie zwei Drittel des Marktes aus. "Das ist dramatisch gestiegen", so Schrader.

"Wir wollen Nachhaltigkeit so einfach machen, dass sie nicht als Luxus empfunden wird" (Oliver Lange, H&M Beyond)

Neben D2C wurde auf der Moonova auch das Thema Nachhaltigkeit an vielen Stellen angesprochen. Dass Nachhaltigkeit keine Nische, sondern längst im Massenmarkt angekommen ist, zeigte Oliver Lange, Chef von H&M Beyond. Der Innovationsexperte erklärte anhand einer Reihe von Initiativen - von On-Demand-Fertigung über den Verleih von Kleidung bis zum digitalen Avatar, der Retouren reduziert - wie H&M das Thema vorantreibt und dafür sorgen will, dass jedes Kleidungsstück mehr als nur sieben Mal getragen wird.
"Wir wollen wissen, wie wir Nachhaltigkeit so einfach machen können, dass sie nicht als Luxus empfunden wird", sagt Lange. "Denn wenn H&M mit seinem Kundenstamm Nachhaltigkeit demokratisiert, ist der Impact natürlich sehr groß." Ein Ansatz ist eine spielerisch gehaltene App, die das Thema Verleih in der Kundenerfahrung sehr einfach und strukturiert macht. Kunden können darüber beispielsweise sehen, wo ein Produkt herkommt, wie es produziert wurde, wie oft und von wem es bereits geliehen wurde und was das Kleidungsstück dadurch schon erlebte.

"Es gibt einen Attitude-Behaviour-Gap beim Thema Nachhaltigkeit" (Karolin Junker de Neui, Beraterin bei Etribes)

Ein spannender Aspekt, den Hersteller und Händler mit Fokus auf Nachhaltigkeit im Hinterkopf behalten sollten, kam beim Roundtable zum Thema Second Hand zur Sprache. Denn laut Karolin Junker de Neui, Beraterin bei Etribes, gibt es einen Attitude-Behaviour-Gap.
"Die Attitude auf nachhaltiges Handel und nachhaltigem Konsum ist total da, aber es hapert in der Umsetzung“, sagt sie. Dem stimmte Mädchenflohmarkt-Chefin Maria Spilka zu. "Für die jüngeren Generationen ist Second Hand eine Selbstverständlichkeit", sagt sie. "Aber der primäre Grund, warum Kundinnen bei uns kaufen, ist der Preisvorteil“, so die Gründerin.

"Wir sind verantwortlich für 3.000 Tonnen CO₂-Ausstoß im Jahr 2020" (Ronny Höhn, Bergfreunde)

Den Gestaltungsaspekt im Circular Commerce brachte Karel Golta, selbst Designer und Gründer von Indeed, zur Sprache. "Lasst uns vom Ende her bis zum Anfang denken", forderte er auf der Bühne und zeigte diverse Beispiele, wie sich dieser Anspruch im Online-Handel in die Tat umsetzen lässt.
Ronny Höhn von den Bergfreunden brachte konkrete Zahlen auf den Tisch: "Wir sind verantwortlich für 3.000 Tonnen CO₂-Ausstoß im Jahr 2020", erzählt er auf der Moonova-Bühne. "70 Prozent davon fallen in die Logistik. Unsere Strategie ist es, zu vermeiden, zu reduzieren und das, was leider übrig bleibt, zu kompensieren."

"Impact-Orientierung beim Kulturwandel ist ungeheuer wichtig, ansonsten ist es ein bisschen Singen, Klatschen und Einhörner reiten" (Tobias Krüger, freier Berater)

Um dem Wandel im Handel gerecht zu werden, braucht es unter anderem zwei Dinge: "Schnelles Internet an jeder Milchkanne", wie Maik Außendorf, digitalpolitischer Sprecher der Grünen im Rahmen der Vorstellung der digitalen Agenda der neuen Bundesrepublik versprach. Und einen echten Kulturwandel, von dem der mittlerweile freie Berater Tobias Krüger nach einigen Jahren als Leiter des Produktwandels der Otto Group weiß: "Veränderungsprozesse sind oft entkoppelt von den eigentlichen Lebensrealitäten. Aber man tut nicht Dinge, um Dinge zu tun, sondern um etwas zu verbessern. Du musst versuchen, dass du durch neue Formen der Zusammenarbeit Probleme, am besten deiner Endkunden, besser gelöst bekommst als vorher. Ansonsten braucht man das nicht zu machen. Die Impact-Orientierung ist ungeheuer wichtig, ansonsten ist es ein bisschen wie Singen, Klatschen und Einhörner reiten."
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Die Sessions mit allen 175 Speakern der MOONOVA zu weiteren Themen wie Customer Experience, Amazon, Progressive Advertising, SEO, SEA & Performance, Social Media, Podcasts u.v.m gibt es mit unserem Digitalpass 365 auch on demand zum Abruf. Der Ticketpreis beträgt 99 Euro. Zudem setzen wir die Moonova in diesem Jahr mit weiteren Satellites fort - je nach Wunsch live vor Ort oder digital. Themen und Termine: Customer Centricity (31. Mai bis 1. Juni live in München), D2C (13. und 14. September in Hamburg) und Performance (25. und 26. Oktober in Düsseldorf).
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