Im Gespräch mit Jörg Schwarz
20.04.2020, 16:40 Uhr
„Bei Valuta blicke ich in verständnislose Gesichter“
Corona trifft Handel und Industrie gleichermaßen. Solidarität ist gefragt. Doch die sieht Jörg Schwarz verschüttet. Der Beiratssprecher von Sport 2000 berichtet von seinen eigenen bitteren Erfahrungen als Händler mit drei Filialen.
Jörg Schwarz ist Beiratssprecher beim Händlerverbund Sport 2000. Er führt drei Filialen (Haupthaus in Bad Salzungen, Weimar und Ilmenau) in Thüringen mit insgesamt 2.300 Quadratmetern Verkaufsfläche unter dem Namen Sport Schwarz.
(Quelle: Jörg Schwarz)
Auch Jörg Schwarz wurde mitten in seiner Umstrukturierung von Corona gestoppt. In seinem Bundesland sind die Beschränkungen lockerer geregelt als in Bayern. Wandern zum Beispiel ist in Thüringen derzeit mit Menschen aus einem Haushalt erlaubt, genauso wie ein Treffen mit einer fremden Person. Allerdings gehen bestimmte Lieferanten in diesen Zeiten nicht ganz so mit, wie es diese Situation erfordert.
SAZsport: Herr Schwarz, was haben Sie gemacht bevor Corona die Welt umgedreht hat?
Jörg Schwarz: Wir sind mitten in unserer Umstrukturierung gestoppt worden. Mit dem Stammhaus in Bad Salzungen beginnend werden wir im Sommer nach unserer Umgestaltung einen neuen Auftritt haben. Unser Ziel ist uns als ein modisches Sportgeschäft und Nahversorger gegenüber den Kunden besser darzustellen. Wir hatten im Zuge des Umbaus in all unseren Filialen Räumungsverkäufe laufen und sind dabei von Corona und den Geschäftsschließungen am 18. März gestoppt worden. Aus voller Fahrt ein Stopp auf null. Sowas gab es noch nie. Völlig neue Situation für jeden von uns, für Industrie, für Handel.
SAZsport: Wie haben Sie auf die Geschäftsschließungen reagiert?
Schwarz: Wir haben als erstes Kurzarbeit für unsere 25 Mitarbeiter beantragt. Wir haben die Hilfen, die in Aussicht gestellt werden, unverzüglich beantragt. Für das Kurzarbeitergeld brauchen wir eine Bestätigung damit man sich überhaupt verlässlich einbuchen kann, auf die warten wir bis heute. Den Antrag für die Landeshilfe, die es für Unternehmen meiner Größe geben soll, haben wir ebenfalls weggeschickt. Da stehen Antworten noch aus. Ich habe Verständnis dafür, dass es dauert, es kommen ja jetzt tausende von Anträgen herein. Neben dem Schriftkram haben wir, die Mitarbeiter in Kenntnis gesetzt, sie informiert. Jetzt muss man sehen, wie lange es noch dauert. Ich bin voller Hoffnung, dass es am 20. April wieder weitergehen kann, vielleicht stufenweise. Es muss ja wieder weitergehen.
SAZsport: Sind Sie im Moment gar nicht aktiv indem Sie Waren versenden oder auf Social Media präsent sind?
Schwarz: Social Media ja, wir haben einen Facebook und Instagram-Auftritt. Bislang haben wir keinen Online-Shop und konzentrieren uns auf stationär. Gegebenenfalls werden wir mit ausgewählten Artikeln online starten. Wir konzentrieren uns auf das was wir vor uns haben und das ist anspruchsvoll genug. Nämlich unser Haus zeitgemäß zu gestalten. Mit meiner Frau und mir sowie zwei bis drei engen Mitarbeitern machen wir nach Bedarf weiter mit dem Umbau, besprechen Themen mit dem Licht-Dienstleister und ziehen ein paar Themen vor, die wir normalerweise im Juni gemacht hätten.
SAZsport: Haben Sie auch schon Vorbereitungen für den Verkaufsstart getroffen? Eventuell für den 20. April?
Schwarz: Klar. Wenn es dann weitergehen darf, dann geht es mit vollem Karacho weiter.
SAZsport: Wie konnte der Verband Sie in dieser Situation unterstützen?
Schwarz: Als Beirat und Sprecher des Beirats habe ich naturgemäß über die Jahre eine enge Kommunikation mit dem Verband. Die Geschäftsführung hat sofort erkannt, was das für eine außergewöhnliche Situation ist. Sie hat den Werkzeugkasten komplett geöffnet und alles versucht, was nützlich sein könnte im Sinne der Händler.
SAZsport: Wie solidarisch haben sich die Lieferanten verhalten?
Schwarz: Meine Sorge ist, dass die Solidarität verschüttet gegangen ist. Manchmal treffen wir auf Unverständnis, selbst auf Entscheiderebene bei den Lieferanten, wenn wir das Wort Valuta aussprechen, gucke ich in verständnislose Gesichter. Entweder sie wollen es nicht hören, vielleicht haben sie es auch noch nie gehört. Das kann ein Werkzeug sein und aus meiner Sicht, in so einer außergewöhnlichen Situation, muss es das auch. Nicht nur zum Interesse des Händlers, sondern auch aus eigenem Interesse des Lieferanten. Ich möchte nicht anklagen, es geht mir um den Geist einer Bitte, dass es vorwärts gehen muss. Und zwar für beide Seiten, für Industrie und Handel, wenn wir wieder öffnen dürfen. Da versteh ich einiges nicht.
SAZsport: Was meinen Sie genau?
Schwarz: Die meisten Händler, die heute am Markt tätig sind, das sind Kaufleute, die ihre Fähigkeiten unter Beweis gestellt haben. Sie haben all die wichtigen Dinge, die in den vergangenen Jahrzehnten Themen waren, LUG also die Lagerumschlagsgeschwindigkeit, den richtigen Lieferanten zur richtigen Zeit am richtigen Ort, das sind ja alles Dinge, die viele meiner Kollegen mittlerweile gut bis sehr gut umsetzen. Und wenn sie dann auf Basis dieser Überlegungen eine Order setzen für den Zeitraum März, April. Die größten Sortimente wären dann Bademode, Flip-Flops, Kinder-Schulsport etc. – dann nützt es gar nichts, wenn diese Order storniert wird. Wenn dann noch von einer gewissen Großzügigkeit gesprochen wird. Man wäre bereit zu stornieren. Wahrscheinlich ist der wahre Hintergrund, dass die eigene Distribution im Vordergrund steht und die Warenbeschaffung ein bisschen knapp ist oder nicht richtig gelaufen ist und man dann froh ist, dass man dem Händler es wegstornieren kann.
SAZsport: Aber wäre eine Stornierung nicht sinnvoller als eine Verschiebung des Zahlungsziels? Im Endeffekt werden Sie die Ware vielleicht nicht mehr verkaufen.
Schwarz: Für mich nicht. Die Ware brauche ich doch. Natürlich fehlen mir die vier Wochen im April. Aber wir Sporthändler ordern ja noch zu großen Teilen klassisch in zwei Saisons Frühjahr/Sommer und Herbst/Winter und nicht in den Rhythmen wie ein topaktuelles Modehaus in irgendeiner Metropole. Demzufolge ist ein Großteil, was ich da geordert habe unverzichtbar. Wenn ich die Tür wieder öffne und er bittet um eine Badehose in der Größe 7, dann muss ich ihm doch fünf oder sechs hinlegen können. Ich brauche doch eine gepflegte Flip-Flop-Wand. Wenn ich wieder öffne, dann haben die Leute doch wieder Freude im Herzen und wollen wieder Ware sehen. Dann hilft es mir nichts, wenn ich mit keiner Ware oder alter Ware aufwarte. Das hilft doch Niemandem.
SAZsport: Betrifft das alle Lieferanten durch die Bank oder nur bestimmte?
Schwarz: Wir sind mit allen noch in Verhandlungen. Es ist ja auch für die Industrie neu. Es gibt auch Teamsport-Händler, die haben es mit Fußballschuhen zu tun, das ist Ware, die ist mittlerweile verderblicher als frischer Fisch. Wenn die alle vier bis sechs Wochen neue Farben bekommen und das sie froh sind, wenn die gelben Neymar-Schuhe storniert werden durften, das ist klar. Aber es gibt ganz große Sortimentsbereiche, wo das nicht der Fall ist, wie zum Beispiel im Outdoor-Segment. Adidas ist sicher das krasseste Beispiel. Früher war es der Fachhandelspartner Nr.1, heute zeigen sie uns deutlich, dass sie den Fachhandel nicht mehr als seinen Partner sehen oder nicht mehr als den Partner, der er einmal war.
SAZsport: Haben Sie ein Beispiel?
Schwarz: Es gibt viele Beispiele. Ich habe selber letzte Woche einen Anruf bekommen, dass ich aus der Betreuung gänzlich rausgefallen bin. Vor drei bis fünf Jahren hat ein Haus meiner Größenordnung noch zwei Vertreter gehabt, einen für Textil, einen für Schuhe und Hartwaren. Vor zwei, drei Jahren wurde umgestellt auf einen Vertreter und letzte Woche erhielt ich telefonisch die Auskunft, dass die Grenzen neu gezogen werden und ich komplett aus der personellen Betreuung rausfalle. Das ist das Beispiel schlechthin für gezeigtes Desinteresse.
SAZsport: Bei welcher Umsatzgröße wird die Grenze gezogen?
Schwarz: Das haben sie mir nicht mitgeteilt. Sie wollen sich nochmal melden. Es gibt zusammen ein Modell mit der Sport 2000 für kleinere Händler als mich. Ob ich jetzt da reinfalle oder sie noch mal eine andere Gruppe meiner Größenordnung dazwischen schalten, dass wollen sie noch überlegen und mir mitteilen. Es ist müßig darüber Krokodilstränen zu vergießen. Es ist nun mal so. Der Adidas, Nike, Asics, die Großen haben das für sich entschieden. Sie haben eine Strategie daraus gemacht. So ein Konzern ist in dieser Größenordnung wahrscheinlich auch nur so zu führen.
Sie haben die nächsten fünf Jahre im Blick und unter dem Schlagwort "der Konsument steht im Vordergrund" bauen sie ihre eigenen Retail-Aktivitäten massiv aus. Das zeigen sie mehr oder minder deutlich auch uns gegenüber. Das ist soweit in Ordnung, aber bislang war die die Argumentationslinie immer auch noch die, dass sie sowohl den deutschen Sportfachhandel als auch den europäischen Sportfachhandel mit im Auge behalten und unterstützen wollten. In der DACH-Region sind wir ja noch einigermaßen mittelständisch und kleingliedrig geprägt, woanders gibt es das ja kaum noch. So waren bislang die Verlautbarungen aus der Unternehmensspitze dieser Lieferanten. Das muss ich und habe ich auch akzeptiert. Sie ziehen ihr Ding durch und bauen ihre eigene Distribution aus.Sie sollten allerdings auch ein Interesse haben, dass es im Sommer eine gut gepflegte Flip-Flop-Wand von drei bis vier Metern mit ihren Produkten in unseren Häusern gibt. Daran haben sie auch ein Interesse. Daran glaube ich ganz fest, dass es so ist.
Und wenn sie das weiterhin wollen, dann sollen sie sich überlegen, wie man in so einer außergewöhnlichen Situation zu einem guten Miteinander kommt. Sodass man beim Neustart bestmöglich aufgestellt ist. Perfekt wird nicht gehen, aber Bestmöglichst. Dazu würde gehören, dass man die Ware über einen vernünftigen Zeitraum valutiert. Es ist ja noch nicht mal eine Gefahr für den Lieferanten. Die Ware ist von mir bestellt, ist verbindlich abgenommen, die DZB-Bank ist wie die Sport 2000 eine Tochter der ANWR und sie sorgt für Zahlungssicherheit und eine Zahlungsgarantie. Es gibt aus meiner Sicht, wenige Gründe, warum man sich als Lieferant so auf die Hinterbeine stellt. Es sei denn man verfolgt damit eine Strategie. Wenn man dies als Gelegenheit sieht, nochmal einen ganzen Schwung an Sporthändlern loszuwerden. Die Verlautbarungen waren bisher andere.
SAZsport: Der Verband hat 120 Tage gefordert. Ich weiß nicht, ob die Industrie da mitgeht. Was ist Ihrer Meinung nach vernünftiges Zahlungsziel?
Schwarz: Das maximal späteste Datum ist vernünftig, weil wir eine eigene Bank im Verband haben, die den Lieferanten eine Zahlungsgarantie gibt. Und wenn es der 31.12.2021 wäre, dann wäre auch das richtig. Jeder vernünftige Händler wird natürlich, sollten die Geschäfte wieder rollen, seine Verbindlichkeiten zurückbezahlen.
SAZsport: Die Frage ist, geht die Industrie B2C, weil der Händler nicht schnell genug auf den digitalen Konsumenten umstellt oder nutzt sie diese Schwäche einfach aus, um selber Tore mit höherer Marge zu schießen?
Schwarz: Es gibt schon noch wilde und nicht mehr zeitgemäße Geschäfte, wo der Lieferant seine Ware nicht mehr sieht, weil es sein Markenimage in den Keller zieht. Das kann ich nachvollziehen. Aber das gilt nicht generell. Ein Großteil derer, die noch am Markt sind, das sind gestandene Kaufleute, die der Wind nicht beim erstem Mal umgeblasen hat. Die es verstehen die Bedeutung der Marke darzustellen. Die es schaffen, auch in kleineren Städten der Nahversorger zu sein und ein beachtliches und schönes Geschäft hinzustellen. Ich glaube schon, dass es Lieferanten gibt, die ein Miteinander sehen. Und wenn es hart auf hart kommt und ein stationärer Händler die meisten Attribute erfüllt in einer mitteldeutschen Kreisstadt, dann glaube ich schon, dass ein Vorstand lieber seine Produkte dort hängen haben würde als die einer springenden Katze.
SAZsport: Sind Sie ein Einzelfall oder betrifft es eher die kleinen Händler, vielleicht sogar den Verband?
SAZsport: In der Frage Valuta, wird es jeden Händler interessieren. Wer es nicht in Anspruch nehmen möchte, der kann ja stornieren. Beides muss möglich sein. Bei anderen Lieferanten war ein Großteil der Ware schon da und auch bezahlt. Das Ärgernis bei Adidas war, dass es um Ware wie Flip-Flops, Badetextilien und Kinder-Schulsport-Sortimente ging, die wir im Februar nicht verkaufen können, wir aber an einem Freitag im März um 17 Uhr eine Mail erhalten und uns bis 20 Uhr entscheiden können, ob wir stornieren möchten oder nicht. Das geht natürlich nicht.
SAZsport: Können Sie dann aktuell überhaupt zahlen?
Schwarz: Im Moment muss ich es noch irgendwie hinkriegen. Es ist eine Frage, wie lange es noch dauert und welche Maßnahmen getroffen werden. Was passiert, wenn wir die Türen wieder öffnen? Haben wir eine Chance regulär was zu verkaufen? Haben wir noch Marge oder müssen wir gleich die komplette Saison beerdigen? Es wird ein Fest für den Verbraucher.
SAZsport: Wenn man Corona etwas Gutes abgewinnen will, dann das gute Produkte mit spürbarem Mehrwert gewinnen, die Produktlebenszyklen länger werden und Durchläufer gestärkt werden.
Schwarz: Genau. Ich bin im engen Kontakt mit Olaf Wittayer von den Outdoor-Profis. Das hat er mit seinen Lieferanten schon sehr früh besprochen. Die Outdoor-Branche ist in der Solidität mit Durchläufern und langen Produktzyklen besser geeignet als andere Produktbereiche. Er ist sehr früh mit den Outdoor-Profis an die Lieferanten herangetreten mit der Idee, lass uns gemeinsam überlegen, die Frühjahr-/Sommersaison 2021 nah an der 20er-Kollektion zu belassen. Sodass nicht unbedingt die zweite oder dritte Farbe neue Farbe auf dem Produkt aufzumachen. Es gibt noch Bestände im Markt, damit kann man den Markt von Industrieseite ruhig halten und nicht verrückt oder rebellisch zu machen. Ich glaube, dass ihm das ganz gut gelingen kann und die Zahlen für alle Beteiligten trotzdem stimmen können.