Stellungnahme von Sport-2000-Mutter 24.03.2021, 09:42 Uhr

Frank Schuffelen: "Es kann nicht sein, dass der Handel die Zeche zahlt"

Deutschland fährt über Ostern runter – und den Einzelhandel vor die Wand? ANWR-Vorstandssprecher Frank Schuffelen ist enttäuscht über die Entscheidung der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz. Er ist nicht allein.
Frank Schuffelen, Vorstandssprecher der Sport-2000-Mutter ANWR,
(Quelle: ANWR Group)
„Es kann nicht sein," so Frank Schuffelen, Vorstandssprecher der ANWR GOUP eG, "dass der Einzelhandel, der die Hygienevorschriften vorbildlich umsetzt und laut RKI ein niedriges Infektionsrisiko darstellt, die Zeche für das erhöhte Risiko und eventuell auch das Fehlverhalten an anderer Stelle zahlt. Wir müssen wegkommen von der reinen Inzidenzbetrachtung und brauchen angesichts der unterschiedlichen Ansteckungsrisiken in den diversen Lebenssituationen eine differenzierte Vorgehensweise und eine neue Öffnungsstrategie. Es gilt die Pandemie an den Infektionsherden zu packen. Es stehen uns mittlerweile mehr Instrumente für die Erhaltung des Gesundheitsschutzes zur Verfügung als die fortdauernde Schließung des Einzelhandels.“
Gemeinsam mit dem HDE und der Initiative „Das Leben gehört ins Zentrum“ steht die ANWR-Unternehmensgruppe zu ihrer Zusage, die umfassenden Konzepte inklusive einer digitalen Kontaktnachverfolgung im Handel, zum Beispiel mit der Luca App, zu unterstützen. Damit bringen sich die Schuh-, Sport- und Lederwarenhändler aktiv für eine Öffnung aller Einzelhandelsgeschäfte unter Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln ein. „Die Ungleichbehandlung des Non-Food-Handels ist eine politische Entscheidung, die von unseren Anschlusshäusern nicht mehr verstanden wird“, betont  Schuffelen.
Die Händler würden jeden Tag um ihre Existenz kämpfen. Die Lage in dem vom Lockdown betroffenen Einzelhandel sei trotz erster zaghafter Öffnungsschritte weiterhin dramatisch. Die ANWR-Unternehmensgruppe fordert deshalb, die Wirtschaftshilfen und die Finanzierungsmöglichkeiten der bundeseigenen KfW Bank schnell, wirksam und unbürokratisch anzupassen sowie gleichzeitig den dringend notwendigen Strategiewechsel einzuleiten. Parallel dazu sind die Impf- und Testkapazitäten zu erhöhen und diese in ein kurzfristig greifendes Öffnungskonzept des Einzelhandels einzubeziehen.
Die Bundesregierung hat angekündigt, dass für die Unternehmen, die besonders schwer von den Schließungen betroffen sind, ein „ergänzendes Hilfsinstrument“ im Rahmen der europarechtlichen Vorgaben entwickeln wird. Hier erwartet die Handelskooperation schnelle und konkrete Vorschläge sowie die Einbeziehung der im hohen Maße betroffenen Schuh-, Sport- und Lederwarenhändler in dieses Konzept.
Frank Schuffelen ist seit Mai ebenso Mitglied des Präsidiums des Mittelstandsverbundes – ZGV e.V. Der Spitzenverband der deutschen Wirtschaft in Berlin und Brüssel vertritt die Interessen von ca. 230.000 mittelständischen Unternehmen, die in rund 310 Verbundgruppen organisiert sind. Der 52-Jährige ist seit 2011 im Vorstand der ANWR Group eG tätig und aktuell für die Bereiche Unternehmensentwicklung und Unternehmenskommunikation sowie Personal, Finanzen, Controlling und das interne Kontrollsystem verantwortlich. Zudem ist er Aufsichtsratsvorsitzender der zur ANWR Group gehörenden Finanzinstitute DZB Bank GmbH und Aktivbank AG.

Mittelstand und Handel fordern pragmatischen Corona-Kurs

Vor den Beratungen von Bund und Ländern an diesem Montag hat der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) einen Kurswechsel in der Corona-Politik gefordert. In einem Brief an Kanzlerin Angela Merkel betonte Bundesgeschäftsführer Markus Jerger, ganze Branchen wie das Tourismus- und Gastronomiegewerbe oder der Einzelhandel drohten sonst auf Dauer wegzubrechen.
Große Handelsketten warnten ihrerseits in einem Schreiben an Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder vor einer Rücknahme der erst seit Kurzem gültigen, begrenzten Einkaufsmöglichkeiten. In dem gemeinsamen Brief – etwa von Tedi, Kik, Takko, Ernsting's Family, Butlers und Thalia – hieß es, dem Handel dürfe nicht die Verantwortung für das steigende Inzidenz-Geschehen zugeschoben werden. Das Gegenteil sei der Fall, wie man am Beispiel Hannover und Thüringen sehe: "Dort sind die Inzidenzen in den letzten Tagen deutlich gestiegen – ohne dass der Einzelhandel geöffnet hat."

Unfaire Behandlung

Die Firmen sehen sich unfair behandelt. "Der Handel bringt große Opfer und wird dafür nicht einmal adäquat kompensiert. Für unsere Branche bedeutet dies ein Geschäfts- und Unternehmenssterben auf Raten." Dies habe auch schlimme Folgen für die Innenstädte. Die Firmenchefs appellieren an die Politik, das Termin-Shopping beizubehalten. "Lassen Sie uns das Verfahren 'Click and Meet', am besten ohne Kopplung an Inzidenzwerte, als kleinen Hoffnungsschimmer weiterentwickeln."
Auch der Bundesverband mittelständische Wirtschaft betonte, die "einseitige Fixierung auf den Inzidenzwert" habe sich als falsch erwiesen, weil er das Infektionsgeschehen nur unvollständig abbilde. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner spielt bei politischen Entscheidungen eine große Rolle.
"Wir brauchen eine Abkehr vom Inzidenzwert hin zu einem Risikowert, der unterschiedliche Faktoren erfasst", schreibt Jerger in dem Brief an Merkel. Dazu gehörten neben der Zahl der Infektionen auch der Belegungsgrad bei den Intensivbetten und der Anteil schwerer Krankheitsverläufe. Damit dieser Risikowert sinke, müsse das Impfen aller Personengruppen beschleunigt werden – damit spätestens zur Jahresmitte 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sei. "Das gegenwärtige Impfchaos muss schleunigst beendet werden, um weiteren Schaden abzuwenden." Schnelltests müssten genutzt werden, Öffnungen im Einzelhandel, in der Gastronomie und von Hotels zuzulassen.

Mangelnde Informationen zum Umgang mit Tests

Die Gewerkschaft Verdi betonte hingegen, in Regionen mit hohen Inzidenzen müsse die Notbremse gezogen werden. "Umsatzausfälle können ersetzt werden – Menschenleben nicht", sagte der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke am Sonntag. Er forderte die Arbeitgeber auf, anstelle immer neuer Öffnungsforderungen mehr Tests zur Verfügung zu stellen. Die Selbstverpflichtungserklärung der Arbeitgeberverbände zum Anbieten von mindestens einem Corona-Test je Woche für die eigene Belegschaft funktioniere ganz offensichtlich nicht. Knapp jedes fünfte Unternehmen in Deutschland (19 Prozent) bietet aktuell seinen Mitarbeitern regelmäßig Corona-Tests an, während 28 Prozent der Firmen planen, dies in Kürze zu tun. Das ergab eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Unter den Betrieben, die nicht testen, befinden sich auch viele Firmen, deren Beschäftigte komplett im Homeoffice sind beziehungsweise die vom Lockdown betroffen sind – also Branchen wie die Gastronomie. Je größer die Unternehmen sind, desto häufiger gibt es laut Umfrage vorhandene Teststrategien oder entsprechende Pläne.
Als zentrale Herausforderung nannten Firmen in der Umfrage mangelnde Informationen zum Umgang mit Tests in den Betrieben. Vielen fehlt ein passendes Schulungsangebot. 23 Prozent gaben an, Tests könnten nicht beschafft werden, da Anbieter nicht lieferten. Von den Unternehmen, die ihre Beschäftigten bereits testen, wünschen sich rund die Hälfte der Betriebe finanzielle Unterstützung. Besonders für kleine und mittlere Betriebe stellten die Kosten ein Problem dar, hieß es.
Die "Wirtschaftsweise" Veronika Grimm warnte in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur vor der Gefahr einer sozialen Spaltung in der Corona-Krise. "Die unteren Einkommensgruppen gehören zu den größten Verlierern in der Corona-Krise, in vielfacher Hinsicht", sagte Grimm. Sie hätten im Durchschnitt eher Einbußen hinnehmen müssen als die mittleren und oberen Einkommensgruppen. "Außerdem arbeiten viele Personen in den unteren Einkommensklassen in Berufen, die jetzt besonderen Belastungen ausgesetzt sind, wie zum Beispiel im Gesundheitswesen oder in den geöffneten Supermärkten."
Grimm ist Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg. Wegen der anhaltenden Corona-Krise hatten die "Wirtschaftsweisen" vor Kurzem ihre Konjunkturprognose für 2021 gesenkt. Die Sparquote ist in der Pandemie hingegen enorm gestiegen. "Viele haben ihre Urlaubsreisen abgesagt, konnten nicht ins Theater oder Kino gehen", sagte Grimm. "Vieles von dem, was jetzt nicht stattgefunden hat, kann aber nicht unmittelbar nachgeholt werden."
Allerdings: Fast die Hälfte der Verbraucher in Deutschland (44 Prozent) will sich laut einer Umfrage der Unternehmensberatung McKinsey nach einem Abflauen der Pandemie etwas gönnen. Bei den unter 25-jährigen Konsumenten liegt der Anteil demnach sogar bei über 60 Prozent. Ganz oben auf der Liste der geplanten "Verwöhn-Aktivitäten" liegen demnach Reisen und der Besuch von Restaurants oder Bars.



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