Konjunktur 22.02.2021, 09:33 Uhr

Ökonomen sehen große Corona-Risiken

Die Zahl der Neuinfektionen steigt wieder - und mit ihr die Furcht in der Wirtschaft vor einer erneuten Verlängerung der Beschränkungen. Eine mögliche dritte Welle könnte den Aufschwung ausbremsen.
(Quelle: Shutterstock: Corona Borealis Studio)
Der Vorsitzende der „Wirtschaftsweisen“, Lars Feld, sieht große Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung und hat Erwartungen von Firmen an Öffnungspläne gedämpft. „Man kann alle möglichen Pläne aufstellen. Aber wenn eine dritte Welle kommt, werden diese hinfällig sein“, sagte Feld der Deutschen Presse-Agentur. Die Corona-Virusvarianten seien eine Unsicherheit, die auch ökonomisch durchschlage. Wirtschaftsverbände wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) fordern vehement einen Öffnungsplan.
Feld kündigte an, dass der Sachverständigenrat seine Prognose für das laufende Jahr nach unten korrigieren wird. In der im November vorgelegten Einschätzung gingen die „Wirtschaftsweisen“ noch von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 3,7 Prozent im Jahr 2021 aus. Im März wird die aktualisierte Prognose veröffentlicht. „Eine Drei vor dem Komma ist noch möglich, wenn weitere Grenzkontrollen vermieden werden und es nach dem Lockdown zu schrittweisen Öffnungen kommt. Dann kann es ab dem zweiten Quartal zu einem kräftigen Wachstum kommen.“
Sicher ist das aber nach Felds Einschätzung nicht. „Wenn sich die Virusvarianten weiter verbreiten und es zu einer dritten Welle kommt, sind alle Prognosen Makulatur.“ Im vergangenen Jahr war die Wirtschaftsleistung um 5,0 Prozent eingebrochen.
Der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Bernd Fitzenberger, warnte vor den Auswirkungen einer möglichen Verlängerung des Lockdowns. „Wäre eine weitere Verlängerung des Lockdowns aus epidemiologischer Sicht notwendig, würde dies die wirtschaftliche Erholung verzögern“, sagte der Leiter des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Fitzenberger verwies auf eine neue Betriebsbefragung seines Instituts, der zufolge nach IAB-Angaben neun Prozent der Betriebe angaben, dass ihre liquiden Mittel noch bis zu vier Wochen reichen und bei 21 Prozent für bis zu zwei Monate. Im Gastgewerbe gaben dies demnach sogar jeweils ein Viertel an. 
„Umso wichtiger ist, dass sie nicht im Regen stehen müssen und die staatlichen Hilfen auch vor Ort ankommen und greifen.“
Der DIHK sprach sich für einen Neustart des wirtschaftlichen Lebens „nach bundesweit einheitlichen Kriterien mit nachvollziehbaren Regeln für die Unternehmen“ aus. Die Dachorganisation der 79 Industrie- und Handelskammern hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dazu eine Reihe von Vorschlägen zukommen lassen. Darin heißt es unter anderem, Schnelltests und digitale Tools könnten wegweisend sein, um das wirtschaftliche Leben auch in den derzeit stark betroffenen Bereichen wieder zu aktivieren.
„Ziel ist es, eine wirtschaftliche Öffnung insbesondere dort bald zu ermöglichen, wo eine persönliche, am besten digitale Nachverfolgung möglich ist“, zitierte die „Rheinische Post“ aus dem Schreiben. Beispiele für digitale Lösungen Registrierungssysteme zur Erfassung von Besucherdaten sowie ein temporär gültiger digitaler Corona-Pass zum Nachweis eines negativen Schnelltests. Die Informationen aus so einem Corona-Pass oder einer digitalen Visitenkarte könnten nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch in der Wirtschaft genutzt werden, etwa beim Zugang zu Arbeitsstätten und Veranstaltungen oder für Dienstreisen.
Der DIHK sprach sich dafür aus, individuelle Lösungen für verschiedene Branchen zu finden. Es sollte keine pauschale Schließung ganzer Wirtschaftszweige mehr angeordnet werden, wenn die Einhaltung geltender Infektionsschutzmaßnahmen durch Hygienekonzepte plus Teststrategien gewährleistet ist und gleichzeitig die Mobilität von Bürgern mit digitalen Konzepten gesteuert werden kann.
Zu einer ausgewogenen Strategie gehört demnach auch, bei den weltweiten Reisebeschränkungen die unterschiedliche Situation in verschiedenen Ländern zu berücksichtigen. Es brauche differenzierte Reisewarnungen. Die internationalen Wertschöpfungsketten der deutschen Wirtschaft etwa sollten nicht durch Grenzschließungen unterbrochen werden, betonte der DIHK.
Auch der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, sieht die Aussicht auf eine schnelle wirtschaftliche Erholung gedämpft. „Wenn die Wertschöpfungsketten halten und die Produktion weiterlaufen kann, wird der negative Einfluss auf die Konjunktur begrenzt bleiben, aber auch für die Industrie ist 2021 erneut ein schwieriges Jahr“, sagte Russwurm der „Rheinischen Post“. Ein erhebliches wirtschaftliches Risiko bedeute die Lage an den Grenzen. „Vor Grenzschließungen oder Unterbrechungen der Lieferketten kann ich nur warnen.“
Ökonom Feld sagte, er könne die Verzweiflung mancher Unternehmen über die Länge des Lockdowns und die fehlende Perspektive gut verstehen. „Es gibt aber insgesamt eine riesige Bandbreite in der Wirtschaft. Die hart getroffenen Branchen stehen nun im Vordergrund. Das Verarbeitende Gewerbe und der Bau laufen derzeit aber noch relativ gut. Aufgrund der Grenzkontrollen zu Gebieten mit Virusvarianten besteht hier durchaus die Gefahr der Unterbrechung von Wertschöpfungsketten. Das würde das Verarbeitende Gewerbe hart treffen.“ Grenzkontrollen gibt es etwa zu Tschechien - ein wichtiger Produktionsstandort auch für deutsche Firmen.
Der Lockdown mit der Schließung etwa der Gastronomie und vieler Einzelhandelsgeschäfte war zuletzt von Bund und Ländern noch einmal bis zum 7. März verlängert worden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder wollen am 3. März beraten, wie es weitergeht.


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