Wirtschaft fordert mehr Corona-Hilfe
06.01.2021, 05:32 Uhr

HDE: "Mangelnde Unterstützung ist ein Skandal"

Mehr Tempo bei den Corona-Impfungen und eine klare Perspektive für die vom verlängerten Lockdown betroffenen Unternehmen: Nicht nur Wirtschaftsverbände sehen Bund und Länder nach den neuen Corona-Beschlüssen in der Pflicht.
HDE-Geschäftsführer Stefan Genth spricht von einem Skandal. Die finanziellen Hilfen kommen bei den Händlern nicht an weil die Zugangshürden zu hoch sind.
(Quelle: HDE)
Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften haben Kritik am verlängerten Lockdown geäußert und mehr Hilfe vom Staat gefordert. Die Gewerkschaften NGG und Verdi pochen auf ein höheres Kurzarbeitergeld für Beschäftigte der Gastronomie. Der Einzelhandel fordert einen Fahrplan zur Wiedereröffnung der Geschäfte und höhere Staatshilfen. Ökonomen glauben, dass der verlängerte Lockdown und neue Beschränkungen der Bewegungsfreiheit in Corona-Hotspots insgesamt überschaubare Folgen für die Wirtschaft haben.
Bund und Länder hatten sich unter anderem darauf verständigt, den Lockdown bis Ende Januar zu verlängern und Kontaktbeschränkungen zu verschärfen. Zudem soll die Bewegungsfreiheit in Corona-Hotspots begrenzt werden. Ab einer 7-Tage-Inzidenz von mehr als 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern sollen die Länder lokale Maßnahmen ergreifen, um den Bewegungsradius auf 15 Kilometer um den Wohnort zu begrenzen, sofern kein triftiger Grund vorliegt.
"Die geschlossenen Handelsunternehmen brauchen jetzt klare Aussagen, unter welchen Bedingungen sie wann ihren Betrieb wieder aufnehmen können», sagte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands HDE, Stefan Genth. Den Lockdown einfach nur zu verlängern und keinerlei Perspektiven oder Pläne für eine Wiedereröffnung zu präsentieren, sei zu wenig. Genth forderte Nachbesserungen bei Hilfen: "Es zeichnet sich eine Pleitewelle ab, wie wir sie noch nicht erlebt haben."
Angesichts der heutigen Beschlüsse zu einer Verlängerung des Lockdowns im Non-Food-Handel fordert der Handelsverband Deutschland (HDE) einen klaren Fahrplan zur Wiedereröffnung der Geschäfte und eine Anpassung der staatlichen Hilfen. Außerdem sollte die Einschränkung der Bewegungsfreiheit in Hotspots auf einen Umkreis von 15 Kilometer rund um den Wohnort nicht für den Einkauf sowie Click & Collect gelten.
„Den Lockdown einfach nur zu verlängern und keinerlei Perspektiven oder Pläne für eine Wiedereröffnung der Geschäfte zu präsentieren, ist zu wenig. Die geschlossenen Handelsunternehmen brauchen jetzt klare Aussagen, unter welchen Bedingungen sie wann ihren Betrieb wieder aufnehmen können“, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Derzeit sei nicht eindeutig geklärt, bei welchen Corona-Zahlen und Inzidenzwerten mit einer Lockerung für den Einzelhandel gerechnet werden könne. Die Handelsunternehmer aber müssten entscheiden, ob sie Ware bestellen und Marketingmaßnahmen planen. Dafür bräuchten sie zumindest eine einigermaßen zuverlässige Grundlage.
Zudem moniert der HDE, dass die staatlichen Hilfen auch weiterhin für viele notleidende Händler keine wirksame Unterstützung bringen. „Für den Handel steht die schnelle Eindämmung der Pandemie an erster Stelle. Wenn die Politik dazu aber den Non-Food-Handel schließt, dann muss sie auch die entstehenden wirtschaftlichen Schäden abfedern. Da muss der Bundesfinanzminister Wort halten“, so Genth weiter. Große Teile einer Branche in den künstlichen Winterschlaf zu schicken, ohne gleichzeitig für entsprechende Notunterstützung zu sorgen, sei extrem kurzsichtig. Die aktuell verfügbaren und angekündigten Überbrückungshilfen seien für den Einzelhandel nicht passend. Zudem kommt selbst das bereits zugesagte Geld gar nicht oder zu spät an.
Der Einzelhandel insgesamt erhielt im vergangenen Jahr 2020 Überbrückungshilfen in Höhe von 90 Mio. Euro. Der vom Lockdown betroffene Nonfood-Handel aber verzeichnete im selben Zeitraum 36 Mrd. Euro Umsatzminus durch die Pandemie und die damit verbundenen Schließungen. Die staatlichen Hilfen reichten dabei nicht einmal annähernd für die Begleichung der Fixkosten. Denn diese lagen bei den betroffenen Händlern gleichzeitig bei rund 12 Mrd. Euro. „Der Bundesfinanzminister muss sich jetzt bewegen. Wenn die Hilfen nicht angepasst werden, gibt es für viele Händler keine Zukunft mehr. Es zeichnet sich eine Pleitewelle ab, wie wir sie noch nicht erlebt haben“, so Genth weiter.
Eine aktuelle Trendumfrage des HDE unter mehr als 700 Händlern zeigt, dass sich knapp zwei Drittel der Innenstadthändler in Existenzgefahr sehen. Drei Viertel der Händler geben an, dass die staatlichen Hilfen nicht ausreichen, um eine Insolvenz abzuwenden. Der HDE fordert deshalb in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Perspektive für den Handel und die Anpassung der staatlichen Unterstützung, damit der vom Lockdown betroffene Einzelhandel spürbare und schnelle Hilfe bekommt.
„Für viele Händler ist es schon kurz nach zwölf. Allein in der vergangenen Woche verlor der vom Lockdown betroffene Einzelhandel rund fünf Milliarden Euro Umsatz. Im gesamten Jahr 2020 waren es rund 36 Milliarden Euro. Das können die Unternehmen nicht mehr ohne Hilfe kompensieren. Wenn die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten gemeinsam mit der Kanzlerin eine weitere Schließung unserer Geschäfte beschließen, müssen sie auch für die notwendige Unterstützung sorgen“, so Genth.
Der Handel könne sich nicht von einem Lockdown zum nächsten entlanghangeln. Zudem macht Genth deutlich, dass bei der staatlichen Unterstützung dringend nachjustiert werden muss: „Ein Skandal ist die mangelnde Unterstützung unserer Unternehmen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz kündigt zwar immer Milliardenhilfen an, tatsächlich kommen die Hilfen aber nicht zur Auszahlung, weil die Zugangshürden viel zu kompliziert und zu hoch sind.“
Für die Nutzung von Click & Collect und den Einkauf im Lebensmitteleinzelhandel drängt der HDE darauf, Ausnahmen bei den Mobilitätsbeschränkungen in Hotspots festzulegen. Ansonsten nehme man vielen geschlossenen Händlern eine der letzten Möglichkeiten, wenigstens noch einigen Umsatz zu erzielen. Zudem werde dem Lebensmittelhandel damit die Versorgung der Bevölkerung unnötig erschwert.
Die regionalen Verkehrsunternehmen wollen das volle Bahn- und Busangebot aber zumindest in den Stoßzeiten aufrechterhalten. Dies soll vor allem für diejenigen geschehen, "die mobil sein und zwingend zur Arbeit müssen", teilte der Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Ingo Wortmann, mit. Die Deutsche Bahn kündigte an, das Angebot im Fernverkehr zu reduzieren: "Ab dem 7. Januar wird die DB ihren Fahrgästen bis auf weiteres rund 85 Prozent des normalen Sitzplatzangebotes zur Verfügung stellen." Damit werde im Fernverkehr ein Grundtakt aufrecht erhalten. Es werde aber Anpassungen im Angebot geben, so die Bahn.
Der Tourismusverband bezeichnete die Maßnahmen als schmerzlich, aber nachvollziehbar. "Es war ein Fehler, mit den Beschlüssen vom 28. Oktober 2020 den Deutschlandtourismus auf Null zu setzen, aber auf Maßnahmen in anderen Bereichen zu verzichten. Das rächt sich jetzt und verlängert den Lockdown", sagte DTV-Geschäftsführer Norbert Kunz.
Ökonomen halten die wirtschaftlichen Folgen einer Einschränkung des Bewegungsradius' für überschaubar. "Wenn die berufliche Mobilität weiter möglich bleibt, dürften sich die wirtschaftlichen Zusatzkosten in Grenzen halten", sagte Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW), der "Welt". Touristik, Gastronomie, Shoppingausflüge seien ohnehin nicht möglich. Auch aus Sicht von Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), ist entscheidend, dass die Fahrt zum Produktionsort möglich bleibe.
Auch die Folgen des verlängerten Lockdowns schätzen Ökonomen als eher gering ein. Dies sei für betroffene Branchen, vor allem Einzelhandel und Gastronomie, schmerzlich, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest der "Welt". Aber man dürfe nicht übersehen, dass große Teile der Wirtschaft, vor allem Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, geöffnet blieben. Ähnlich sieht dies IW-Direktor Hüther. Entscheidend sei, dass die Industrie nicht in Mitleidenschaft gezogen werde.
Beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht man davon aus, dass die Verlängerung des harten Lockdowns nur kurzfristig auf der wirtschaftlichen Erholung lastet. "Werden die Infektionszahlen damit effektiv gedrückt, ist eine kräftige Erholung im Frühjahr möglich", sagte DIW-Konjunkturchef Claus Michelsen der Zeitung.
Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) fordert ein Mindestkurzarbeitergeld von 1.200 Euro und eine Corona-Sofortnothilfe von einmalig 1.000 Euro. "Die Löhne von Kellnern oder Köchinnen sind ohnehin niedrig – das Kurzarbeitergeld reicht da auf Dauer einfach nicht", bekräftigte NGG-Chef Guido Zeitler in den Zeitungen der "Funke Mediengruppe". Laut "Lebensmittel-Zeitung" fordert auch Verdi, das Kurzarbeitergeld auf mindestens 1.200 Euro pro Monat aufzustocken.
Kritik kam auch aus der Immobilienwirtschaft. Es sei es nun besonders wichtig, dass Hilfen schnell und unbürokratisch fließen, forderte der Zentrale Immobilien-Ausschuss. «Aus den Novemberhilfen dürfen nicht erst Frühjahrshilfen werden», sagte Präsident Andreas Mattner. «Damit auf die Coronawelle keine Insolvenzwelle folgt, muss jetzt gehandelt werden, die vom Lockdown betroffenen Unternehmen stehen am Rande des Ruins, die Städte in Deutschland werden ihr Gesicht verlieren».
Neue Test-Regeln für Einreisende aus Corona-Risikogebieten stießen auf Kritik der Luftverkehrsbranche. Ihr Verband BDL verlangte ein Ende der "kaum zu kontrollierenden Quarantänebestimmungen", wenn künftig zusätzlich zu dem nach fünf Tagen fälligen Corona-Test ein weiterer unmittelbar vor der Einreise verlangt wird. Ein Festhalten an der pauschalen Quarantäne über zehn Tage sei "unverhältnismäßig".


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